Juncker für Europa der «konzentrischen Kreise»

24.02.2017 16:15

Wenn sich nicht alle einig sind, gehen eben ein paar
Wildentschlossene alleine voran: Die Idee kursiert in der EU seit
Jahrzehnten. Jetzt erlebt sie eine Renaissance - aus purer Not.

Brüssel (dpa) - EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker plädiert

für ein Europa der «konzentrischen Kreise», in dem nicht alle Staaten

gleich eng zusammenarbeiten.«Wir können viel gemeinsam tun, aber es
ist nicht mehr zeitgemäß anzunehmen, dass wir alle zusammen dasselbe
machen könnten», sagte Juncker am Donnerstagabend. Die Ideen will er
in den nächsten Tagen in einem Reformkonzept ausführen.

Zuletzt hatte bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein Europa
unterschiedlicher Geschwindigkeiten geworben. Die Idee kursiert seit
Jahrzehnten, und zum Teil ist sie bereits Realität. So beteiligen
sich nur einige der - mit Großbritannien - derzeit noch 28 EU-Staaten
am Schengen-Raum oder an der gemeinsamen Währung Euro. Doch wurde
dabei lange unterstellt, dass sich andere der «Vorhut» nach und nach
anschließen. Juncker hob dagegen eher darauf ab, dass sich die EU bei
etlichen Fragen nicht mehr einigen kann.

Er sprach bei einer Veranstaltung im belgischen Louvain-la-Neuve von
einer zentralen Frage: «Wollen wir als 28 voranschreiten - wir haben
den 28. schon verloren - oder muss es nicht so sein, dass die, die
schneller voranschreiten wollen, dies tun können, ohne die anderen zu
stören, und dabei ein strukturierteres Gebilde schaffen, das für alle
offen ist? Dafür werde ich mich in den nächsten Tagen aussprechen.»

Dann will die Kommission ein sogenanntes Weißbuch vorlegen, als
Grundlage für die weitere Debatte über die Zukunft der EU. Anlass ist
der bevorstehende 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen
Verträge am 25. März. An dem Tag ist ein Sondergipfel in Rom geplant.

Juncker beschrieb das künftige Europa als «Gebilde, das einen Kern
hat und verschiedene Kreise». Im Zentrum stünden jene, die sich einig
seien, so viel wie möglich zusammen zu machen. Bei einzelnen
Projekten könnten sich unterschiedliche Gruppen zusammentun, etwa bei
der gemeinsamen Währung, bei Verteidigungsfragen oder bei der
Förderung der Wissenschaft.

Bei einer engeren wirtschaftspolitischen Koordination würden wohl nur
wenige mitmachen, sagte Juncker. Die Zahl sei aber nicht
vorherzubestimmen. «Man muss sich den Kontinent in konzentrischen
Kreisen vorstellen», fügte er hinzu. Im «Orbit» könnten jene ein
en
Platz finden, die nicht denselben Ehrgeiz der Integration teilten wie
die anderen. Er nannte Großbritannien nach dem Brexit und die Türkei
- «oder andere, die davon noch nichts wissen».

Die EU sieht sich nach dem Votum der Briten für einen Austritt seit
Monaten in einer schweren Krise. In wichtigen Fragen wie etwa der
Asylpolitik ist sie tief zerstritten. Auch die wirtschaftlichen
Ungleichgewichte und die hohe Arbeitslosigkeit in Südeuropa zerren an
der Einheit der Gemeinschaft.

Das Europaparlament hatte kürzlich Vorschläge für eine Vertiefung der

Union mit einer EU-Regierung und einer zweiten Parlamentskammer zur
Debatte gestellt. Merkel und andere Staatenlenker wollen aber keine
Reformen, die über die jetzigen EU-Verträge hinausgehen.