Macron gegen Le Pen: Europa am Scheideweg Von Verena Schmitt-Roschmann und Kristina Dunz, dpa

24.04.2017 02:23

Nach dem Brexit-Schock und der Wahl von Donald Trump in den USA
erschüttert auch die erste Runde der Präsidentschaftswahl in
Frankreich Europa. Es steht viel auf dem Spiel.

Brüssel/Berlin (dpa) - Mit der Stichwahl in Frankreich am 7. Mai
steht Europa am Scheideweg. Wählen die Franzosen in zwei Wochen den
jungen Linksliberalen Emmanuel Macron zum Präsidenten? Dann können
die Europäische Union und Deutschland wie bisher auf Frankreich als
verlässlichen, wenn auch nicht immer unkomplizierten Partner zählen.
Macht dagegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen das Rennen, wären
die EU und das traditionelle deutsch-französische Tandem in ernster
Gefahr.

Nach dem Ergebnis des ersten Wahlgangs vom Sonntag hat Macron die
besseren Chancen, obwohl er in Hochrechnungen wenig Vorsprung vor Le
Pen hatte. Denn sofort riefen die gemäßigten unter den neun
unterlegenen Kandidaten ihre Anhänger auf, Macron zu unterstützen.
Doch das gute Abschneiden Le Pens reichte, EU-Politikern Schauer über
den Rücken zu jagen. Erschreckend nannte es der deutsche
SPD-Europaparlamentarier Jo Leinen.

Wieso wäre ein Wahlsieg Le Pens für manche das «Ende Europas»?

Front-National-Chefin Le Pen giftet seit Jahren gegen Brüssel und
predigt die Rückbesinnung auf den Nationalstaat. Als Präsidentin will
sie binnen sechs Monaten ein Referendum über das Ausscheiden ihres
Landes aus der EU. Den Euro will sie wieder durch eine eigene Währung
ersetzen, das Schengen-Abkommen zum freien Reisen kündigen und die
französischen Grenzen abschotten. Ein «Frexit» aber wäre weit
dramatischer als der EU-Austritt Großbritanniens. Denn damit bräche
ein Gründerstaat weg - das Land, das mit Deutschland nach dem Zweiten
Weltkrieg das Einigungsprojekt maßgeblich vorantrieb. Die zweitgrößte

Volkswirtschaft ginge verloren. Die bisherige EU wäre am Ende.

Warum kann Le Pen mit Europaskepsis punkten?

Frankreich hadert mit diversen EU-Vorgaben, die Deutschland klar
unterstützt. Wegen der Wirtschaftsflaute sprengte Paris die im
Euroraum vereinbarte Defizitgrenze von 3,0 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Während Brüssel auf Einhaltung der Regeln
pocht, kritisiert Le Pen Gängelei. Zweites heißes Eisen ist die
EU-Flüchtlingspolitik mit der Umverteilung von Ankömmlingen aus
Italien und Griechenland. Dritter Punkt ist die Terrorgefahr im
Europa der offenen Grenzen. Der EU-Verdruss ist groß.

Was will Macron?

Anders als die meisten anderen Präsidentschaftskandidaten bekennt
sich der 39-jährige Macron mit seiner Bewegung «En Marche» klar zur
EU und zur Zusammenarbeit mit Deutschland. In seinem Wahlprogramm
bezieht er das unter anderem auf den Ausbau der gemeinsamen
Verteidigungspolitik im Tandem mit Berlin. Doch fügt er hinzu:
«Europa muss sich auch ändern.» Macron will Bürgerkonvente auf dem

ganzen Kontinent einberufen, um «dem europäischen Projekt wieder eine
Richtung zu geben». Zudem stellt sich Macron klar hinter
weitreichende Reformideen für die Eurozone, die unter anderem einen
eigenen Haushalt bekommen soll.

Was würde ein Sieg Le Pens für Deutschland bedeuten?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich in den vergangenen Wochen
bedeckt. Doch sie hat indirekt signalisiert, welchen Wahlausgang sie
möchte: Macron hat sie getroffen, Le Pen ausdrücklich nicht. Mit
deren Politik gebe es «überhaupt keine Berührungspunkte», betonte
Merkels Sprecher. Weder Merkel noch ihr SPD-Rivale Martin Schulz
würden wohl den Schulterschluss mit einem Staatsoberhaupt suchen, das
Frankreich aus der EU führen will. Die seit Jahrzehnten so wichtige
Partnerschaft läge auf Eis. Sollte sich Frankreich von der EU
abwenden, käme Deutschland noch stärker in die Rolle des einzigen
Stabilitätsankers in Europa.

Wie wäre es mit Macron?

Macron wäre angesichts seiner Unterstützung für Europa und für die

deutsch-französische Achse für Berlin ein zugänglicher Partner -
unabhängig davon, ob nach der Bundestagswahl im Herbst Merkel oder
Schulz im Kanzleramt regieren. Zwei heikle Punkte bleiben: Zum einen
ist unklar, ob der parteilose Jungstar bei der anstehenden
Parlamentswahl in Frankreich eine Mehrheit für seine Politik bekäme.
Andernfalls droht Lähmung und Unsicherheit, auch für Europa und
Deutschland. Ist er indes handlungsfähig, wird er mit Merkel
aneinandergeraten. Die Bundeskanzlerin will keine weitreichenden
EU-Reformen, wie Macron sie vorschlägt. Erst kürzlich hat
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auch einer großen Reform der
Eurozone eine klare Absage erteilt.