Polen protestieren gegen umstrittene Justizreform der Regierung

23.07.2017 12:34

Erneut gingen tausende Polen gegen die umstrittene Justizreform ihrer
Regierung auf die Straße. Die Nationalkonservativen trieben das
Gesetz trotz Warnungen der EU-Kommission weiter voran.

Warschau (dpa) - Tausende Polen haben am Wochenende landesweit gegen
die heftig kritisierte Justizreform der nationalkonservativen
Regierung demonstriert. Mit dem Senat hatte auch die zweite
Parlamentskammer in der Nacht zum Samstag für den Umbau des
Justizwesens gestimmt. Die Volksvertreter ignorierten damit sowohl
Sanktionsdrohungen der EU-Kommission als auch warnende Stimmen im In-
und Ausland, die um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz
fürchten. Nun fehlt noch die Unterschrift von Präsident Andrzej Duda.

Rund zehntausend Warschauer versammelten sich nach Angaben der Stadt
am Samstagabend vor dem Obersten Gericht und forderten Duda zu einem
Veto auf. Damit hoffen sie, die Reform aufzuhalten. «Wir werden die
Diktatur zu Fall bringen», riefen die Demonstranten. Bei einer
Kundgebung in der Hafenstadt Danzig rief Ex-Präsident Lech Walesa zur
Verteidigung der Gewaltenteilung auf. Auch der aus Polen stammende
EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte in einem Interview des
Senders TVN24, jede Möglichkeit zu nutzen, um Polen wieder auf den
richtigen Weg zu bringen.

Die Reformen sollen es der Regierung ermöglichen, Richter des
Obersten Gerichts in den Ruhestand zu schicken und ihre Posten neu zu
besetzen. Die Richterposten in dem über die Unabhängigkeit der Justiz
wachenden Landesrichterrat (KRS) sollen ebenfalls neu besetzt werden.
Kritiker befürchten, dass ein befangenes Oberstes Gericht künftig
sogar Wahlen für ungültig erklären könnte. Die Zustimmung des
Parlaments galt im Vorfeld als sicher, weil die Regierungspartei
Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski mit absoluter
Mehrheit regiert.

Sobald Präsident Duda unterschrieben hat, kann die Reform in Kraft
treten. Dafür hat er 21 Tage Zeit. Das Staatsoberhaupt kann den
Entwurf aber auch vom Verfassungsgericht prüfen lassen, das nach
einer PiS-Reform 2015 allerdings als befangen gilt. Dritte Option
Dudas wäre ein Veto und die Bitte an den Sejm - das polnische
Unterhaus - um Überarbeitung.

Allerdings könnte ein nach Angaben der PiS «winziger Fehler» in dem
umstrittenen Gesetzentwurf zum Obersten Gericht das
Gesetzgebungsverfahren verzögern. Die im Eiltempo vorangetriebene
Novelle enthalte zwei verschiedene Paragrafen zur Wahl des Ersten
Gerichtsvorsitzenden, wie es hieß. Nach Ansicht des Präsidenten
verstoße dies gegen Prinzipien der ordentlichen Gesetzgebung, sagte
Dudas Sprecher Krzysztof Lapinski. Diese Doppelung könne der Senat
schnell beheben, schlug Senatsmarschall Stanislaw Karczewski vor.

Derweil hat der Justizstreit unlängst Wellen bis ins Ausland
geschlagen. Die US-Regierung als traditioneller Verbündeter riet
Warschau davon ab, «Gesetze zu erlassen, die die gerichtliche
Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untergraben
scheinen». Auch in Berlin sorgten die angestrebten Änderungen für
Beunruhigung. «Dem kann die EU nicht tatenlos zusehen», sagte
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) der «Bild am Sonntag». Dass
Brüssel Strafen prüfe, begrüße er: «Wer den Rechtsstaat so wenig

achtet, nimmt in Kauf, dass er sich politisch isoliert.»

Die EU-Kommission drohte bei Inkrafttreten der Reform ein Verfahren
nach Artikel 7 des EU-Vertrages an. Dieser sieht als schwerste
Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vor. Am
kommenden Mittwoch will Brüssel erneut über Polen beraten. Inwiefern
die Kommission durchgreifen kann, war allerdings unklar. Sanktionen
müssten von allen Mitgliedstaaten gebilligt werden. Doch Ungarn -
weiteres Sorgenkind der EU - sagte Polen bereits seine Unterstützung
zu. Man «?wird jedes rechtliche Mittel nutzen, um sich mit Polen
solidarisch zu zeigen»?, sagte Ministerpräsident Viktor Orban. Das
Vorgehen Brüssels sei eine «Inquisition».

Auch Polens Nationalkonservative fühlen sich von der Kommission
ungerecht behandelt. Vizepräsident Frans Timmermans führe gegen
Warschau eine «persönliche Mission», hieß es. Bei der Reform würd
en
demokratische Standards gewahrt, sagte Justizminister Zbigniew
Ziobro. Weiteres PiS-Argument: Die Änderungen seien den Bürgern
versprochen worden, schließlich wurde Polens Justiz seit dem Ende des
Kommunismus 1989 nicht reformiert. Die Richter seien großteils
korrupt und unterlägen keiner demokratischen Kontrolle.

Zwar soll Präsident Duda am Montag mit der Ersten Vorsitzenden des
Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, in dem Streit beraten. Die
Hoffnung der Reform-Gegner auf sein Veto könnte allerdings vergebens
sein. Er gilt als Unterstützer der Nationalkonservativen und winkte
bisher selbst die umstrittensten Gesetze durch.