Zeitung: London bietet 20 Milliarden Euro in Brexit-Verhandlungen

20.09.2017 17:49

Streit ums liebe Geld: Macht Premierministerin Theresa May in ihrer
Grundsatzrede in Florenz der EU ein gutes Scheidungsangebot? Nach den
Worten des umstrittenen Außenministers Boris Johnson ist sich die
Regierung in Sachen Brexit einig wie ein «Nest singender Vögel».

London/Brüssel (dpa) - Großbritannien will angeblich mindestens 20
Milliarden Euro nach dem Brexit an Brüssel zahlen. Dies werde
Premierministerin Theresa May in ihrer Grundsatzrede zum EU-Ausstieg
am Freitag in Florenz bekanntgeben, berichtete die «Financial Times»
am Mittwoch. Das Angebot wäre allerdings viel niedriger als
Forderungen aus Brüssel.

Unterdessen bemühte sich die Regierung nach neuen Querelen, einen
gemeinsamen Brexit-Kurs zu demonstrieren. Sie sei sich so einig wie
ein «Nest singender Vögel», sagte Außenminister Boris Johnson.

Die Zusage von mindestens 20 Milliarden Euro solle die zähen
Brexit-Verhandlungen in Gang bringen, schreibt die «Financial Times».
Dies entspricht der Summe, die Großbritannien in etwa für zwei Jahre
an Netto-Mitgliedsbeiträgen an die Europäische Union zahlen müsste.

Der «Telegraph» sprach nur von der «Spitze des Eisberges», die zur

Finanzierung einer Übergangsphase nach dem Brexit diene. Es könne
sich aber kaum um die Schlussrechnung nach dem EU-Austritt handeln.

Ein Sprecher der britischen Regierung nannte den Bericht der
«Financial Times» eine «reine Spekulation». Nach EU-Schätzungen s
oll
London bis zu 100 Milliarden Euro zahlen - und zwar bis etwa zum Jahr
2023, wie EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger kürzlich sagte.
Dies umfasst gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für
Haushalt, Fördertöpfe oder Pensionslasten. Großbritannien wird die EU

Ende März 2019 verlassen.

Über das Angebot soll Mays EU-Berater Oliver Robbins der Zeitung
zufolge bereits Regierungsvertreter in der Europäischen Union in
Kenntnis gesetzt haben, auch in Deutschland. Ein Regierungssprecher
betonte aber in Berlin, dass Kanzlerin Angela Merkel nicht über ein
konkretes Verhandlungsangebot informiert worden sei.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte: «Bisher haben wir kein
förmliches britisches Angebot.» Entscheidend sei, was May am Freitag
in Florenz sage, und was die Briten am Montag in Brüssel bei der
nächsten Verhandlungsrunde auf den Tisch legten. Ein Sprecher von
EU-Unterhändler Michel Barnier wollte keinen Kommentar abgeben.

Bislang hatte London keine konkrete Summe für die Scheidung von der
EU genannt, es kursierten in britischen Medien aber Zahlen. Johnson
steht finanziellen Forderungen aus Brüssel sehr kritisch gegenüber.

Brüssel besteht in den Gesprächen darauf, die umstrittene
Schlussrechnung, die Rechte der EU-Ausländer und die neue
EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen
Nordirland zuerst zu klären. London will dagegen so schnell wie
möglich über die künftigen Beziehungen mit der EU verhandeln, vor
allem über ein Handelsabkommen.

Johnson wies Spekulationen über eine Rücktrittsdrohung im Streit um
den Brexit zurück. Auf die Frage eines Reporters, ob er zurücktreten
werde, antwortete Johnson am Dienstag in einem New Yorker Hotel:
«Nein.» Die Regierung sei sich einig wie ein «Nest singender Vögel
».
Johnson war für die Generalversammlung der Vereinten Nationen in die
US-Metropole gereist.

Der «Daily Telegraph» hatte zuvor berichtet, Johnson wolle sein Amt
möglicherweise noch vor dem Wochenende niederlegen, sollte sich May
nicht seinen Wünschen hinsichtlich des geplanten EU-Austritts beugen.
Johnson werden Ambitionen auf das Amt des Regierungschefs nachgesagt.
Am Wochenende hatte Johnson im «Daily Telegraph» seine
Brexit-Vorstellungen dargelegt und May damit brüskiert.

Beobachter gehen davon aus, dass Johnson der Premierministerin
absichtlich in die Parade fahren wollte. May gilt seit der
schiefgelaufenen Parlamentswahl im Juni als angezählt.